Probenfotos von Klaus Fröhlich und Alessandro De Matteis


 

 

6 Darsteller, 1 Techniker

Bühne: 10 m x 12 m

 

Deutschland-Premiere: 18.09.2020,

Ringlokschuppen Ruhr Mülheim

 

Schweiz-Premiere: 23.09.2020,

Théâtre du Crochetan Monthey

 

In Koproduktion mit Ringlokschuppen Ruhr Mülheim, Théâtre du Crochetan Monthey,

Hessisches Staatsballett, im Rahmen der Tanzplattform Rhein Main, einem Kooperationsprojekt von Hessischem Staatsballett und Künstlerhaus Mousonturm

und Unterstützung durch Theater im Ballsaal Bonn, Malévoz Quartier Culturel.

 

Gefördert durch Fonds Darstellende Künste, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, NRW Landesbüro Darstellende Künste e.V., RheinEnergieStiftung Kultur, Bundesstadt Bonn,  Pro Helvetia, ThéâtrePro Valais, Loterie Suisse Romande, Conseil de la Culture État du Valais 

 

Von und mit: Fa-Hsuan Chen, Martina De Dominicis, Álvaro Esteban, Tanja Marin Friðjónsdóttir/ Susanne Schneider,

Anna Harms, Frédéric Voeffray

• Choreografie:  Rafaële Giovanola

• Komposition: Jörg Ritzenhoff, Franco Mento • Licht, Raum: Boris Kahnert, Peter Behle • Kostüme: Mathilde Grebot

• Coaching Ballett: Isabelle Fokine

• Coaching: Muay Thai: Priest West

• Outside eye: Susanne Schneider/ Tanja Marín Friðjónsdóttir, Leonardo Rodrigues

• Dramaturgie: Rainald  Endraß

• Produktionsleitung: Daniela Ebert, Neele Renzland • Management: Mechtild Tellmann, GROUNDWORKERS

 

über HYBRIDITY 

 

In „Hybridity“ treffen die Traditionen des Thai-Boxens und des romantischen Balletts aufeinander. Die von CocoonDance aufgelösten Körperbilder des männlich-martialischen Kriegers und der weiblichfeenhaften Ballerina verwandeln sich zu schwebenden Kreaturen. Körper, die uneindeutig irrlichtern zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit, Explosivität und Lähmung, Menschlichem und Tierischem, Verlangen und Ablehnung. Mit der Verschmelzung beider extrem gegensätzlicher gegensätzlicher Körpertechniken bringt das Stück in immer wieder neuen Transformationen Bilder eines hybriden Körpers, spekulative Erweiterungen unserer Vorstellungen von Körper, Geschlecht und Identität hervor.

 

HYBRIDITY ist der dritte Teil des Werkzyklus des 'ungedachten' Körpers, in dem das Ensemble um die Choreographin Rafaële Giovanola  Company unterschiedliche Szenarien entwirft, die den Körper in einer, sich radikal verändernden Welt ausgesetzt zeigen. Wie in den Erfolgsstücken „Momentum“ und „Vis Motrix“ inspiriert sich die CocoonDance Company bei seiner Suche nach dem noch ‚ungedachten‘ Körper erneut an fremden Körpertechniken. Ausgangspunkt ist die Begegnung und Vermischung zweier ganz unterschiedlicher Bewegungskulturen: zum einen das in Thailand seit Jahrhunderten praktizierte Thai-Boxen und zum anderen das romantische Ballett des frühen 20. Jahrhunderts. Beide Bewegungsformen gehören zum Kulturerbe, beeinflussen nach wie vor die tradierten Körperbilder in Asien und Zentral-Europa und könnten kaum konträrer sein. Auf der einen Seite das choreographische Ideal des immateriellen, ätherischen Körpers, auf der anderen eine Vollkontakt-Sportart.

Um das Material möglichst authentisch studieren zu können, fanden Arbeitsphasen mit Isabelle Fokine, der Enkelin von Michail Fokine, sowie mit Priest West, Welt- und Europameister in Muay Thai, statt.

 

PRESSESTIMEN IN AUSZÜGEN

 

Eine unheimlich, fremd, beinahe außerirdisch anmutende Choreographie entwickelt Rafaële Giovanola in »Hybridity«.           Ein Hauch von Science Fiction umwabert die sich wie zutiefst gehemmt und gegen übermenschlichen Widerstand in Bewegung zuckenden Körper der sechs Tänzerinnen und Tänzer. Mit jedem mühsamen Tanzschritt dringen sie vor in einen spröden Rhythmus, der ständig aus dem Takt fällt, verrutscht und die Körper zurückreißen könnte. Umso betörter sieht man der Schwerstarbeit des Ensembles und den aufeinander korrespondierenden Bewegungen im Raum zu: Drehungen und Wendungen, vor und zurück, um einander auszuweichen, Begegnungen ohne Nähe, berührungslose Tänze und Schattenkämpfe, die nach und nach ihre ganz eigene poetische Dynamik entfalten.

Kontaktlos sind die sechs Körper aneinandergebunden, aufeinander ausgerichtet, stoßen und wenden sich ab, gehen aufeinander zu und kreisen elliptisch durch den Bühnenraum, der ihre Welt ist und der sie nicht entkommen lässt. Die sich entfaltende Freiheit dieser faszinierenden Tanzproduktion entsteht in den Körpern selbst. So abstrakt das Zusammenspiel und der Rhythmus anmuten, die Unruhe der Tänzerinnen und Tänzer setzt sich in immer freiere Bewegungen der Beine und Arme um. … Wie Pflanzen im Zeitraffer wachsen die Körper aus ihren Verkrümmungen. Auf dem Boden quietschend aber unterlaufen die Tänzerinnen und Tänzer jede Illusion und schaffen abermals eine verwirrend unheimliche Mischung aus Turnhalle und Traumgarten. Hin und her gerissen zwischen den Welten, nehmen sich die Kampfbewegungen ihren Raum und schaffen ihre ganze eigene, überraschende Schönheit.

Vom Zucken zum freien Fluss der Muskel und Sehnen gerät ein rätselhaftes Wesen in den Mittelpunkt, das scheinbar greifbar, doch nie nahbar ist. Hier, irgendwo zwischen all den verwirrenden Bewegungen, taucht eine rätselhafte Figur auf, die unheimlich bekannt wirkt zwischen all den verspielten und getanzten Möglichkeiten. Nicht hier noch dort verlieren sich die Bewegungen einer enorm fesselnden Tanzproduktion, ohne auch nur eine Sekunde aus dem Blickwinkel zu geraten. [Christoph Pierschke, Schnuess – Das Bonner Stadtmagazin 11.2020)

 

… „Hybridity“ setzt eine Entwicklung fort, die sich in den früheren Stücken „Momentum“ und „Vis Motrix“, mit denen sie 2018 und 2020 zur Biennale „Tanzplattform Deutschland“ eingeladen worden waren, abzeichnet. Auch dort spielt sie mit den Abhängigkeiten von Musik, Bewegung und Körper. … Immer geht es um unterschiedliche Bewegungsformeln und -konzepte, die nicht zum Vokabular des modernen Tanzes zählen. Im aktuellen Stück erlebt man die Verschmelzung von Thai-Boxen und Tanz, die von vier Tänzerinnen (Fa-Hsuan Chen, Martina De Dominicis, Susanne Schneider, Anna Harms) und zwei Tänzern (Álvaro Esteban, Frédéric Voeffray) in einer spannungsvollen Stunde vollzogen wurde. … Die Choreografie entwickelt sich in einem riesigen, kraftraubenden Crescendo, in dem zunächst vor allem Beinarbeit gefordert ist. Zugleich nimmt die Musik Fahrt auf, bohrend und unerbittlich, manchmal wie von einem Schwungrad angetrieben. Auch in der brillanten Etüde „Hybridity“ powern sich die Tänzer bis zur Erschöpfung aus. Wenn sie irgendwann liegenbleiben und erst durch das fies quietschende Geräusch ihrer über den Boden reibenden Leggins wieder ins Bewegungsleben zurückfinden, ist das ein großartiger Effekt. Noch zwingender allerdings die plötzliche Aktivierung der Arme und Hände, die rasend schnell Boxbewegungen ausführen. Das Publikum im Saal gab sich am Ende lautstark beeindruckt.  (Bernhard Hartmann, General-Anzeiger, Bonn, 02.10.2020)

 

Bei der Deutschlandpremiere im Ringlokschuppen faszinierte die sinnliche und spannungsreiche Arbeit das Publikum. … Die Tänzer rund um Choreographin Rafaële Giovanola und Dramaturg Rainald Endraß haben sorgfältig recherchiert, das Bewegungsvokabular des romantischen Balletts und der asiatischen Kampfsportart identifiziert und einzelne Vokabeln isoliert. …. Aus den einzelnen „Bauteilen“ ist in Ensemble- und Improvisationsarbeit eine außergewöhnliche Choreographie entstanden, die auch tradierte Körperbilder (männlich-martialisch und weiblich-feenhaft) auflöst und zusammenführt. In einer Sechsergruppe bewegen sich die Tänzer durch den Raum. Sind es zunächst nur ihre Beine, die mit zunehmender Dynamik auf Elemente des Balletts oder Muay Thai verweisen, so wird die Bewegungssprache mit der Zeit immer komplexer, der Rhythmus rasender. Die Tänzer sind „auf der Suche nach dem ungedachten Körper“, einem hybriden Wesen zwischen Mensch und Maschine, das Gegensätze vereint - das Trippeln des Boxers mit dem Federn der Ballerina, die grazilen Drehungen, Sprünge und Gesten der Balletttänzer mit der geschickten Hand- und Fußarbeit der Kampfkunst-Krieger. Die isolierten Moves variieren und kombinieren die Tänzer dabei immer wieder anders. Zur elektroakustischen Musik (beziehungsweise Tönen und Geräuschen) von Frank Mento (nach Motiven einer Komposition von Jörg Ritzenhoff), in der mal das Filigrane und Liebliche, mal das Treibende und Martialische durchklingen, präsentiert die Kompanie geistreich entwickeltes und energiegeladenes Tanztheater, das neue Denkweisen und Definitionen anbieten will, künstlerisch anspruchsvoll und auch ein äußerst bewundernswerter körperlicher Kraftakt ist. ... Das Publikum feierte die Tänzer. (Andrea Müller, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 20.09.2020)

 

Von der ersten Sekunde an ist der Raum von der Energie der Tänzer gefüllt. … Fa-Hsuan Chen, Martina De Dominicis, Álvaro Esteban, Susanne Schneider, Anna Harms und Frédéric Voeffray können aus dieser pulsierenden Grundenergie immer wieder blitzschnelle Bewegungen generieren. Giovanola hat hier etwas völlig Neues entwickelt. Wie vom Flitzegummi schießen sie über die Tanzfläche, ohne sich einander zu berühren. Immer aber sind es die Beine, die hier für die explosiven Bewegungen sorgen. … In der zweiten Hälfte werden plötzlich die Hände aktiv, führen die Fäuste in atemberaubender Geschwindigkeit zu Thai-Box-Bewegungen.

Damit wird eine neue Energie-Ebene erreicht, die nach der rasanten Aufführung zuvor unvorstellbar war. … Als das Corps zum Applaus antritt, ist De Dominicis schweißüberströmt. Wie statisch aufgeladen fühlt sich allerdings das Publikum, wenn der Rest der Mannschaft so tut, als habe sie die Anstrengungen des Abends nicht weiter berührt. Das Publikum indes verweigert die Nonchalance und johlt unbeherrscht und grenzenlos.

(Michael S. Zerban, O-Ton Online, 21.09.2020)

 

Boxer ohne Arme oder eben Insekten, stabil gepanzert. Sie ragen auf, weichen aus, bilden Teilgruppen, wie aufgespannt auf der Fläche, immer auf dem Sprung. Ihre Regungen werden Rhythmen, vielleicht Silben einer Unterhaltung oder eines unerhörten Gesangs. «Denn die Zikaden waren einmal Menschen», heißt es bei Ingeborg Bachmann oder, ein Zeitalter früher, bei Sokrates.

Die Wesen verändern im Laufe des Stücks … ihre Anmutung.

Irgendwann werden die Wesen auch zu kopflosen Klumpen oder sich selbst bebrütenden Eiern. Und dann wieder realer, ein bisschen menschlicher. So spielen sie mit einem Ball, der unsichtbar zwischen ihnen rollt. Sie reagieren, schießen, hüpfen, folgen schließlich einer unhörbaren Tanzanweisung.

Die später schräg gestellten Körper ähneln ausgerichteten Antennen, sie werden Springer, vorwärts, rückwärts, Arme fahren in Bögen aus, heben, senken sich, holen etwas ein, herab. Die Hände aber lernen nie zu greifen, sondern schlagen aus, hauen gegen einen unsichtbaren Gegner. So gesehen: das Stück zur Zeit. Und mehr. (Melanie Suchy, tanz, 3.2021)

 

Unvergessliche Bilder schafft .. das Ensemble von Cocoondance aus Bonn … Hier werden verkarstete Klischees von harten, kämpfenden Männern und engelszarten Frauen aufgebrochen. Boxring und Ballettbühne begegnen sich.

(Thomas Linden Kölnische Rundschau, 30.04.2021)

 

Zeitgenössischer Tanz spielt oft mit scheinbaren Grenzen. … . Ohnehin ist jenes Übertreten von oft auch scheinbaren Grenzen ein so wunderbares Merkmal zeitgenössischen Tanzes, das oft Künste auf so beeindruckende Weise verbinden kann. Und bei … "Hybridity" ist jene Dialektik des zeitgenössischen Tanzes noch offensichtlicher. Was ist diese Dialektik? Aus oft gegensätzlichen, nicht selten aus unterschiedlichen Ästhetiken kommenden oder sich widerstrebenden Stilen, Ideen oder auch Tanztraditionen durch Verhandlung und Durchdringung, schließlich durch Verschmelzung auf einer höheren Ebene, die in sich den Widerspruch trägt, aber versöhnend ausgleicht, Neues schaffen. Bei Rafaële Giovanolas "Hybridity" ist es die Bewegungssprache des romantischen Balletts und des Thai-Boxens, die zu einem "hybrid" verarbeitet werden. … Fa-Hsuan Chen, Martina De Dominicis, Álvaro Esteban, Susanne Schneider, Anna Harms und Frédéric Voeffray beeindrucken bis zu vollkommener Erschöpfung.  (Christian Oscar Gazsi Laki, Westdeutsche Zeitung, 04.05.2021)

 

Die Tänzer haben untereinander Blickkontakt, doch niemals Körperkontakt. Ihre wachsamen Blicke erinnern an Tiere, die nie vor natürlichen Feinden sicher sind. Diese Verschmelzung von Menschlichem und Tierischem, von Verlangen und Ablehnung, macht den Reiz von „Hybridity“ aus. … Inspiriert von anderen Körper-konzepten, wie Kampfkunst oder klassischem Ballett, geht es Giovanola und ihrer starken Kompanie um die Erforschung der Grenzen des menschlichen Körpers. … „Hybridity“ liefert keine Antworten, vielmehr führen die unglaublich starken Tänzer tradierte Körperbilder zu etwas Neuem, hybriden zusammen, stark und zer-brechlich zugleich, etwas, das außerhalb von Rollenklischees liegt.

(Isabel Mankas-Fuest, Rheinische Post, 07.05.2021)